Suche nach verfassungskonformer Lösung ist keine Paragraphenreiterei!
Es handelt sich bei der Suche nach einer verfassungskonformen Lösung nicht um Paragraphenreiterei, sondern eine notwendige Voraussetzung, um die uns anvertrauten Kinder zu schützen. Hintergrund ist ein realer Fall von Kindeswohlgefährdung. Am 13. Februar 2023 wurde ich auf die verfassungswidrige Situation von zwei durch die VoG RZKB anerkannten Tagesmüttern hingewiesen, die ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der Französischen Gemeinschaft ausübten. Man teilte mir mit, dass die Staatsanwaltschaft von Verviers wegen Kindeswohlgefährdung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren im Haus einer der beiden Tagesmütter eingeleitet hat. In diesem Zusammenhang stellte die Tatsache, dass die Inspektionsdienste des Ministeriums der DG nicht befugt sind, auf dem territorialen Gebiet einer anderen Gemeinschaft ihrer Verantwortung nachzukommen, ein ernst zu nehmendes Problem dar. Uns waren aufgrund der verfassungswidrigen Situation die Hände gebunden: Wir konnten nicht intervenieren, um die Sicherheit der Kinder zu garantieren! Im Ernstfall – der leider nicht nur in der Theorie vorkommt, wie dieser Fall belegt – können wir nur Verantwortung übernehmen, wenn die territorialen Zuständigkeiten berücksichtigt werden. Und so endet die Zuständigkeit der DG dort, wo die Französische Gemeinschaft beginnt.
Die Aufgabe von Politik ist es nun mal Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Qualität der Betreuung und der Schutz unserer Kleinsten sichergestellt ist. Dass Frau Raxhon sich nichts hat zuschulden kommen lassen, ändert nichts daran, dass die Situation zum Schutz aller rechtssicher geregelt werden muss, denn die Sicherheit und der Schutz der Kinder haben oberste Priorität. Wir können von Glück reden, dass nie etwas Schlimmeres passiert ist!
Mir war es aber von Anfang an ein Anliegen, dass wir für Frau Raxhon eine Lösung finden. Ich habe ihr im März 2023 in einem persönlichen Gespräch verschiedene Lösungsoptionen aufgezeigt. So habe ich ihr unter anderem angeboten, in der DG in verschiedenen Kinderbetreuungsstrukturen an einem Standort ihrer Wahl als Tagesmutter zu arbeiten. Außerdem habe ich ihr zugesichert, dass ich mich für ihre Anerkennung durch die ONE, den zuständigen Dienst in der Französischen Gemeinschaft, einsetzen werde. Ich habe meine Amtskollegin in der FG zudem mehrfach brieflich dazu aufgefordert dies ebenfalls zu tun. Mein Kabinett hat sich dazu bereits im März letzten Jahres mit der Französischen Gemeinschaft ausgetauscht. Diese hat uns zugesichert, dass sie bereit wäre, Frau Raxhon anzuerkennen, notfalls mit einer Ausnahmegenehmigung, wissend, dass sie nicht über die in der Französischen Gemeinschaft erforderliche Ausbildung verfügt.
Abkommen mit der Französischen Gemeinschaft - Alternativvorschlag unterbreitet
Zu gleicher Zeit, also im März 2023, habe ich zudem die Initiative ergriffen und der Französischen Gemeinschaft den Vorschlag eines Kooperationsabkommens unterbreitet. Den entsprechenden Entwurf haben wir der Französischen Gemeinschaft im September 2023 vorgelegt. Da der juristische Dienst der Deutschsprachigen Gemeinschaft und die Finanzinspektion der Französischen Gemeinschaft jedoch zu dem Schluss kommen, dass der Staatsrat ein negatives Gutachten zu dem Abkommen wegen Verstoß gegen die Verfassung ausstellen wird, würde Frau Raxhon nicht nur lange warten müssen, sondern letztlich dennoch nicht weiterarbeiten können. Deshalb habe ich meiner Amtskollegin Ministerin Linard am 8. Januar zwei Alternativvorschläge unterbreitet:
- Konkret habe ich vorgeschlagen, in einem ersten Schritt eine administrative Vereinbarung zwischen der ONE und dem ZKB zu treffen. Die ONE würde Frau Raxhon als Tagesmutter auf ihrem Gebiet offiziell anerkennen. Somit könnte sie ihre Tätigkeit kurzfristig wieder aufnehmen. Von unserer Seite bieten wir an, uns an den Kosten für die Kinder aus der DG, die Frau Raxhon betreut, zu beteiligen. In diesem Szenario könnte Frau Raxhon zeitnah legal weiterarbeiten und die Eltern aus der DG könnten weiterhin von Frau Raxhon ihre Kinder betreuen lassen. Das Kabinett Linard wird laut meinen Informationen diese oder nächste Woche auf Frau Raxhon zugehen. Dieses Abkommen verstößt nicht gegen das Territorialprinzip, da die Kinder in der Französischen Gemeinschaft unter der Verantwortung und nach den Regeln und Dekreten der Französischen Gemeinschaft betreut würden. Einen Entwurf des administrativen Abkommens zwischen ZKB und ONE, das kurzfristig Abhilfe schaffen soll, haben wir bereits ausgearbeitet und der Kollegin Linard unterbreitet.
- In einem zweiten Schritt streben wir ein verfassungskonformes globales Abkommen zwischen den Regierungen der Deutschsprachigen Gemeinschaft und der Französischen Gemeinschaft an, das die Zusammenarbeit zwischen unseren Gemeinschaften regelt und weit über die Kinderbetreuung hinaus geht. So könnten in Zukunft Probleme dieser Art durch die gegenseitige Platzvergabe in der Kleinkindbetreuung vermieden werden.
Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung verschließe ich mich also weder der Suche nach einer Lösung für Frau Raxhon noch lasse ich die betroffenen Familien im Stich. Im Gegenteil: Als ich von der Situation von Frau Raxhon im Februar 2023 erfahren habe, habe ich umgehend alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zum einen Frau Raxhon berufliche Perspektiven in der DG oder alternativ in der Französischsprachigen Gemeinschaft zu bieten und zum anderen die Betreuungsplätze zu erhalten. Denn natürlich brauchen wir in gleich welcher Gemeinschaft jeden Betreuungsplatz und Frau Raxhon ist eine geschätzte Tagesmutter. Zuletzt betreute sie an ihrem Wohnort auf dem Gebiet der Französischen Gemeinschaft vier Kinder von Familien aus der Deutschsprachigen Gemeinschaft und acht aus der Französischen Gemeinschaft. Diese Familien aus der DG haben im Dezember von Seiten des neuen Zentrums der Deutschsprachigen Gemeinschaft für Kinderbetreuung (ZKB) ein Angebot für die Betreuung ihrer Kinder erhalten. Im Sinne einer familienfreundlichen Politik ist es mir ein Anliegen, dass niemand einen Betreuungsplatz verliert.
Das Angebot, in Kelmis zu arbeiten, hat Frau Raxhon leider ausgeschlagen.
Offensichtliches Missverständnis rund um das Thema "Territorialprinzip"
Wichtig scheint mir, ein weit verbreitetes Missverständnis aufzuklären. Die Wahrung des Territorialprinzips bedeutet nicht, dass Tagesmütter nicht arbeiten können, wo sie möchten, oder dass Eltern nicht ihre Kinder betreuen lassen können, wo sie möchten. Die Berücksichtigung des Territorialprinzips steht keinesfalls im Widerspruch zum sprachgrenzenüberschreitenden Zusammenleben und -arbeiten. Dass Kinder aus der Französischen Gemeinschaft hier betreut werden und Kinder aus der DG in der Französischen Gemeinschaft betreut werden, ist überhaupt nicht das Problem. Das ist möglich und auch gut so und das soll auch weiterhin so bleiben. Allerdings muss dies, wie in allen anderen Bereichen, auch unter Berücksichtigung der Zuständigkeiten und der jeweils vor Ort geltenden Regeln geschehen. So ist es kein Geheimnis, dass die Kinderbetreuung in der Deutschsprachigen Gemeinschaft besser bezuschusst wird und auch die Arbeitsbedingungen sowie finanziellen Entschädigungen der Tagesmütter in Ostbelgien deutlich günstiger sind als in der Französischen Gemeinschaft. Voraussetzung ist, dass man in Ostbelgien arbeitet. Die Kindergärtner, die in der Französischen Gemeinschaft arbeiten und dort auch deutschsprachige Kinder unterrichten, müssen ebenfalls nach den Regeln der Französischen Gemeinschaft arbeiten und profitieren beispielsweise nicht von den günstigeren Personalnormen, die bei uns gelten.
Wichtige Reform der Kinderbetreuung in der DG
Abschließend möchte ich betonen, dass dieser Einzelfall rund um die Tagesmutter Arlette Raxhon nichts mit der wichtigen Reform zu tun hat, die wir in der Kinderbetreuung zum ersten Januar vollzogen haben. Dass im Gegenteil die Schaffung des Vollstatuts für die Tagesmütter eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen bedeutet, zeigt ja schon die Tatsache, dass Frau Raxhon gern unter diesen Bedingungen arbeiten würde.
Dass Frau Raxhon vor 18 Jahren vom RZKB anerkannt wurde und es jahrelang offenbar toleriert wurde, das Territorialitätsprinzip zu umgehen, ändert nichts daran, dass die Situation seit Jahren verfassungswidrig ist. Das ist keine Frage „des Empfindens“, wie der Verwaltungsratspräsident des RZKB es nannte. Wie gefährlich die Folgen sein können, ist spätestens seit dem Verdachtsfall der Kindeswohlgefährdung von Februar 2023 klar, der zu einer Neubewertung der Situation führen musste. In der Diskussion sollten wir zudem nicht vergessen, dass am 1. Januar 2024 mit dem ZKB ein neuer Arbeitgeber die Kinderbetreuung der DG übernommen hat, was dazu führt, dass neue Regeln Anwendung finden. Dass das für viele trotzdem schwer nachzuvollziehen ist, kann ich verstehen, aber als Politikerin ist es meine Verantwortung, eine rechtssichere Lösung zu finden, die es erlaubt, in allen Situationen die Sicherheit der Kinder zu gewährleisten. Das ist meine Aufgabe als Aufsichtsministerin.
Ich bin aber weiterhin zuversichtlich und werde mich dafür einsetzen, dass es uns gelingt, Rechtssicherheit zum Schutz der Kinder zu schaffen und gleichzeitig für Frau Raxhon eine Lösung zu finden.
Weitere Informationen zum ursprünglichen Lösungsvorschlag und zum Territorialprinzip sind in der Pressemitteilung auf Seite 4 und 5 zu finden.